Mittwoch, 8. November 2006

Notendurchschnitt 3,55

Gerade komme ich von der Schulsprechstunde. Mein Sohn geht in die vierte Klasse, soll aufs Gymnasium. Selbstredend, bei den Eltern. Bei der jüngsten Deutscharbeit war mein Sohn der fünftbeste seiner Klasse, allerdings mit einer Drei. Durchschnitt war 3,55. In Mathe genauso. Mein Sohn wurde zwar als einer von zweien seiner Schule auf die Mittelfränkische Mathematik-Meisterschaft entsandt, aber für eine gesicherte Übertrittsnote reicht auch das nicht. Hier muss er um seinen Zweier kämpfen, in der jüngsten Klassenarbeit lag der Notendurchschnitt bei 3,71.

Der Lehrer wandt sich in der Besprechung wie ein Aal, als ich ihn darauf ansprach, dass es im Wohlstandsghetto unseres Wohnortes kein Prekariat gäbe, das einen derartigen Notendurchschnitt in der Klasse erklären könnte. Auch der Anteil nicht integrierter Ausländerkinder liegt in der Klasse genau bei Null - weil der Ausländeranteil ebenfalls Null beträgt.

In Bayern machen 21,7 Prozent der Schüler Abitur. Das ist eigentlich zu wenig. Allein: Weil die bayerischen Gymnasien kräftig aussieben, müssten, um diese magere Abiturientenquote zu erreichen, rund 30 Prozent der Schüler von der Grundschule ins Gymnasium übertreten. Nach dem bisherigen Stand schaffen in der Klasse meines Sohnes vielleicht zwei oder drei den Übertritt.

Als ich das dem Lehrer vorrechnete und ihn fragte, ob er oder die Klasse nun unterdurchschnittlich sei, meinte dieser, schuld an der Notenmisere sei die schlechte Disziplin der Klasse. Zu viele profilneurotische Akademiker-Eltern mit zu verzogenen Kindern. Wir natürlich ausgenommen.

Dass er sich hinterfragen könnte, darauf kommt er nicht. Selbstgefällig bis zum Anschlag erklärte er, dass seine Art zu arbeiten schon noch Früchte tragen werde, bis zum Übertrittszeugnis. Und um unseren Sohn müssten wir uns natürlich keine Sorgen machen. Bei dem Elternhaus.

Ich bin froh, dass ich durch die Gnade der frühen Geburt in den 70ern, der Zeit der sozialliberalen Bildungsreform, aufs Gymnasium gehen konnte. Heute hätte ich als Arbeiterkind, dessen Eltern ihre Anliegen weniger eloquent vortragen können, dafür kaum mehr eine Chance. Damals war es so, dass die Bonzenkinder den Atem der ambitionierten Arbeiterkinder im Nacken spürten, dass es einen Wettbewerb um Sozialchancen gab. Heute haben die "besseren Kreise" diese Chancengleichheit zu ihren Gunsten verschoben. Okay, mein Sohn als Spross eines Vaters, der in den "Besseren Kreisen" angekommen ist, sich auszudrücken versteht und einen Anzug besitzt, profitiert von dieser Ungerechtigkeit. Eine Schande bleibt sie trotzdem.

Armes Deutschland.

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