Sonntag, 22. Oktober 2006

PR-Strategie

Anfang Oktober ruft ein Interessent an. Es geht um Pressearbeit, die beim Kunden selbst bisher nur am Rande betrieben wird. Der erste Telefonkontakt ist sehr angenehm, das Geschäftsfeld des Kunden, Individualsoftware im Logistikbereich, passt hervorragend zu uns, Branchenkenntnis ist genug vorhanden. Das anschließende Hearing beim Kunden läuft prima, die Chemie stimmt, wir entwickeln im Gespräch viele gute Ideen, um die Pressearbeit im Allgemeinen und ein anstehendes Großprojekt im Besonderen nach vorn zu bringen. Außer meiner Agentur hat nur noch eine andere Agentur die Gelegenheit für ein Hearing, erfahre ich.

Und genau diese eine andere Agentur sticht uns aus. Die Begründung der Absage: Die andere Agentur hätte größere Kompetenzen im Bereich PR-Strategie vorgewiesen.

PR-Strategie? Aha. Der Ehrliche war mal wieder der Dumme.

Wann endlich verstehen es die Agenturkunden, dass PR-Strategien nutzlos sind, sofern der Etat nicht satt sechs- bis schwach siebenstellig ausfällt?

Bei Budgetgrößen darunter ist PR ein opportunistisches Geschäft. Opportunistisch im Wortsinne, von Opportunitäten, also Gelegenheiten nutzend. Die Medienlandschaft gibt den Takt vor, entscheidet, welche Themen zu welchem Zeitpunkt interessant sind. Gute PR orientiert sich an diesen Bedarfen und Bedürfnissen der Medien und versucht, sie möglichst professionell zu bedienen.

Erst wenn das nicht mehr verfängt, erst dann, wenn es darum geht, neue Bedürfnisse der Medien zu wecken, um sie anschließend befriedigen zu können, wenn es um Event- und Sponsoringaktivitäten geht, bei denen berichtenswerte Anlässe geschaffen werden, erst dann wird eine Strategie nötig. Diese definiert die Kommunikationsziele, strengt Stärken-Schwächen-Analysen an und leitet daraus die Wahl der journalistischen und finanziellen Mittel ab. Also, siehe oben, bei einem Budget in satt sechs- bis schwach siebenstelliger Dimension fängt Strategie an, darunter ist sie nutzlos und Geldverschwendung.

Okay, auch die Krisenkommunikation braucht strategische Ansätze. Wenn man aber nicht gerade die Tabaklobby, die Müllmafia oder eine andere Institution mit ähnlichem Hintergrund ist und daher täglich damit rechnen muss, dass die Presse ihrem Aufklärungsauftrag nachkommt, ist strategische Krisenkommunikation nicht erforderlich. Was soll ein Softwarehaus schon Schlimmes anstellen, um ins Ziel der Investigativen vom Schlage eines Hans Leyendeckers zu rücken? Hat das Softwarehaus das aber getan, hilft die beste Kommunikationsstrategie nichts mehr.

So, nun weiß ich also, dass ein potenzieller Kunde sehr viel Geld rausschmeißen wird, dass eine andere Agentur sehr viel Geld verdienen wird für nichts. Die Strategiepapiere werden natürlich sehr hübsch anzusehen sein und der Agentur viel Arbeit machen. Nichtsdestoweniger ist die dicke Mappe der Strategiepapiere nutzlos. Bei mir hätte es nach drei Monaten ebenfalls eine dicke Mappe gegeben. Eine mit Abdrucken.

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