Ein schlechteres Land
Früher, wenn wir als Kinder nach Frankreich in die Ferien fuhren, glaubten wir beim Passieren der Rheinbrücke – nein, wir hatten die Gewissheit –, dass wir uns nun in einem schlechteren Land befänden.
Das Geschwätz unseres Stiefgroßvaters Jupp vom „Franzmann, dem Schönwettersoldaten“ hatte an dieser Einschätzung den geringsten Anteil. Frankreichurlaub verlief im Hinblick auf Opa Jupp stereotyp. Mein Vater kündigte an, dass wir in den Urlaub fahren würden und bat Großvater beim Sonntagskaffee, auf unsere Karnickel aufzupassen. Daraufhin sang Opa „Siegreich woll’n wir Frankreich schlagen“ und wir Kinder spürten, dass unser Großvater – nein, unser Stiefgroßvater – ein verhärmtes Arschloch war. Es erschien für uns Kinder nur gerecht, dass der Russe, offenbar ein Schlechtwettersoldat, dem Opa Jupp später im Krieg „ein Bein genommen hatte“, wie er immer sagte.
Auch dass Mutter ihren Filterkaffee mitnahm, hatte wenig Anteil an unserem Urteil über Frankreich.
Es war das Große und Ganze. In Frankreich waren die Straßen schlechter, die Autos kleiner und verbeulter und älter, die Häuser windschief, die Städte schmutzig. Wir Kinder erkannten, dass es die Menschen dort schwerer hatten als in Deutschland. Ja, die Eltern lobten das Essen und den Wein. Das war besser als in Deutschland, aber wenn sich meine Eltern daran freuten, wie billig alles sei, wenn man nur Plate du Jour nähme, sahen wir darin abermals ein Zeichen für Frankreichs Unterlegenheit. Denn Mutter lobte nicht nur das Essen und den Wein und die billigen Preise, sondern anschließend immer gleich auch den Vater, wie fleißig er sei und was wir uns seines Fleißes wegen alles leisten könnten. In Deutschland gab es das nie, Vaters Fleiß war im Inland offenbar nur Durchschnitt.
Zuletzt gab es am Strand die letzte und unwiderlegbare Gewissheit der französischen Minderwertigkeit: Das Sandelzeug, das es dort am Kiosk zu kaufen gab, war windig. Die Eimerchen platzten beim ersten Befüllen, die Schäufelchen knickten bei der geringsten Belastung um, die Siebe taugten nichts und die Förmchen waren sofort verklumpt. Alles war viel schlechter als daheim, weshalb wir Kinder beim zweiten Mal unser Sandelzeug von daheim mitbrachten, so wie Mutter ihre Jacobs Krönung.
Vergangene Woche bin ich mit meiner Familie aus dem Frankreich-Urlaub zurückgekehrt. Als wir über den Rhein fahren und auf der A5 die Spurrillen anfangen, sagt mein Sohn: „Ist Deutschland eigentlich schlechter oder besser als Frankreich? Die Autobahn in Frankreich kostet was, aber dafür schaukelt es nicht so wie hier.“ Und meine Tochter meint: „Schaukeln ist doch egal. Aber hier haben wir genug Geld, dass wir endlich mal wieder etwas Warmes im Restaurant essen können.“
Das Geschwätz unseres Stiefgroßvaters Jupp vom „Franzmann, dem Schönwettersoldaten“ hatte an dieser Einschätzung den geringsten Anteil. Frankreichurlaub verlief im Hinblick auf Opa Jupp stereotyp. Mein Vater kündigte an, dass wir in den Urlaub fahren würden und bat Großvater beim Sonntagskaffee, auf unsere Karnickel aufzupassen. Daraufhin sang Opa „Siegreich woll’n wir Frankreich schlagen“ und wir Kinder spürten, dass unser Großvater – nein, unser Stiefgroßvater – ein verhärmtes Arschloch war. Es erschien für uns Kinder nur gerecht, dass der Russe, offenbar ein Schlechtwettersoldat, dem Opa Jupp später im Krieg „ein Bein genommen hatte“, wie er immer sagte.
Auch dass Mutter ihren Filterkaffee mitnahm, hatte wenig Anteil an unserem Urteil über Frankreich.
Es war das Große und Ganze. In Frankreich waren die Straßen schlechter, die Autos kleiner und verbeulter und älter, die Häuser windschief, die Städte schmutzig. Wir Kinder erkannten, dass es die Menschen dort schwerer hatten als in Deutschland. Ja, die Eltern lobten das Essen und den Wein. Das war besser als in Deutschland, aber wenn sich meine Eltern daran freuten, wie billig alles sei, wenn man nur Plate du Jour nähme, sahen wir darin abermals ein Zeichen für Frankreichs Unterlegenheit. Denn Mutter lobte nicht nur das Essen und den Wein und die billigen Preise, sondern anschließend immer gleich auch den Vater, wie fleißig er sei und was wir uns seines Fleißes wegen alles leisten könnten. In Deutschland gab es das nie, Vaters Fleiß war im Inland offenbar nur Durchschnitt.
Zuletzt gab es am Strand die letzte und unwiderlegbare Gewissheit der französischen Minderwertigkeit: Das Sandelzeug, das es dort am Kiosk zu kaufen gab, war windig. Die Eimerchen platzten beim ersten Befüllen, die Schäufelchen knickten bei der geringsten Belastung um, die Siebe taugten nichts und die Förmchen waren sofort verklumpt. Alles war viel schlechter als daheim, weshalb wir Kinder beim zweiten Mal unser Sandelzeug von daheim mitbrachten, so wie Mutter ihre Jacobs Krönung.
Vergangene Woche bin ich mit meiner Familie aus dem Frankreich-Urlaub zurückgekehrt. Als wir über den Rhein fahren und auf der A5 die Spurrillen anfangen, sagt mein Sohn: „Ist Deutschland eigentlich schlechter oder besser als Frankreich? Die Autobahn in Frankreich kostet was, aber dafür schaukelt es nicht so wie hier.“ Und meine Tochter meint: „Schaukeln ist doch egal. Aber hier haben wir genug Geld, dass wir endlich mal wieder etwas Warmes im Restaurant essen können.“
Stachanow - 16. Sep, 11:34
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