Freitag, 19. Januar 2007

Fehlleistungsgesellschaft

Gestern, während Kyrill tobte, war ich mit dem Auto in Frankfurt, geschäftlich. Ich hätte nicht vermutet, dass so viele Menschen so zivilisationsversaut sind und die elementare Kraft der Natur nicht mehr einzuschätzen wissen.

Auf der Anfahrt, gegen Mittag, hörte ich Verkehrsfunk. Die Menschen im Formatradio zeigten großes Vergnügen daran, endlich mal wieder dramatisieren zu dürfen, und durften bald schon ihren ersten Toten melden. Auf der Autobahn tanzten die LKW auf der rechten Spur im Sturm. Was die PKW-Fahrer, insbesondere die in "neutralen" Firmenwagen, nicht daran hinderte, mit einem Affenzahn zu überholen. Schließlich darf der LKW ja nicht über die Fahrbahnmarkierung drüber, sagt die Straßenverkehrsordnung, der sich gefälligst auch Kyrille und andere Kanacken unterzuordnen haben. Und außerdem muss der in der Virtualität seiner Welt (in der es keine unstürzende Bäume gibt) lebende IT-Fatzke aus München ja rechtzeitig zu seinem Meeting. Ich fuhr keine hundert und hatte wegen des Wetters eine Stunde mehr einkalkuliert. Deshalb kam eine halbe Stunde vor meinem Termin an, sodass ich mir noch in einer Frittenbude den Magen vollschlagen und in einem Supermarkt einen Meter Zahnseide besorgen konnte, um mir die Rindswoschd wieder aus den Zahnzwischenräumen zu pulen, ehe ich meine Buzzwords abspulen und "Issues an meine fokussierte Zielgruppe kommunizieren" durfte.

Auf dem Heimweg hatte der Sturm um einiges zugelegt. Auf den Höhen des Spessart flogen die Äste nur so über die Autobahn. Das jedoch konnte weder die Außendienstbeauftragten in ihren Passats noch die Kurierfahrer in ihren Sprintern beeindrucken oder gar veranlassen, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen.

Was mich sehr erstaunte: Es krachte erst auf Höhe Würzburg.

Die Polizei war schon da und hatte Schilder aufgestellt. Dennoch mussten die Vertriebsbeauftragten mit den Kurierfahrern noch bis zur Staustelle Rennen herausfahren, um dort mit zupackendem ABS zu bremsen. Dann kroch der Verkehr weiter. Ich ließ einen LKW von der rechten auf meine mittlere Spur einscheren, was den Fahrer eines Wagens mit dem Kennzeichen BN für Bonn und DT für D*eutsche T*elekom dazu veranlasste, mich mit Dauerhupe und einem Lichthupenfeuerwerk einzudecken.

Beim nächsten Stillstand stieg ich deshalb aus dem Wagen und ging zu dem Menschen hinter mir, der sich sogleich zentralverriegelte. Ich fragte den Herrn durch die Seitenscheibe, die er einen Spalt weit geöffnet hatte, ob er glücklicher wäre, wenn er vor dem LKW im Stau stünde und wie viel Vorsprung er dann hätte und ob es notwendig sei, mich wegen eines nicht vorhandenen Zeitvorteils zu belästigen. Dann bat ich den Herrn, das Hupen und Lichthupen fürderhin zu unterlassen. Anderenfalls würde ich mit meinem Wagenheber seine Windschutzscheibe ein- und sogleich seine Schneidezähne ausschlagen. Dies veranlasste den Menschen, offenbar meine Autonummer in einen kleines elektronisches Gerät einzutippen. Ich beschied ihm, dass ich mich auf die Anzeige freuen würde, weil ich dann über meine Kontakte zu den Behörden seine Adresse herausfände und ihm halt vor seiner Haustüre die Schneidezähne einschlagen würde. Anschließend setzte ich mich zurück in mein Auto, hörte Pink Floyd (Shine on you crazy diamond), sang mit und ließ weitere drei LKW vor mir rein, ohne dass der Angestellte eines Bonner Telefonunternehmens einen Mucks von sich gab. Einschüchterung funktioniert eben doch.

In Rottendorf ging ich von der verstopften Autobahn runter und schlug mich auf die B8. Die Idee hatten mehrere. Ich passierte noch zwei Unfallstellen und freute mich, am Straßenrand keine Toten, sondern nur blöde Gesichter der Vertriebsbeauftragten zu sehen, die vom Sturm durchgeblasen darauf warten mussten, dass ihre neutralen Firmenschrotthaufen abgeholt werden würden. Ihre Krawatten flatterten lustig im Wind.

Irgendwann war ich daheim. Ich wünsche mir noch viele Stürme, sozusagen als darwinsche Selektionsmechanismen. Vielleicht gelingt es den Auswirkungen des Klimawandels, die Deppen aus der Welt zu blasen.

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