Dienstag, 23. August 2005

473 Kilometer in acht Stunden

Gestern Berlin. Stippvisite beim Kunden - und Motorradabenteuer.

Anfahrt problemlos. Termin okay. Abfahrt Berlin gegen 16 Uhr. Bis Potsdam Kolonne, bis Leipzig Highspeed. Danach wieder dichter Verkehr. Am Hermsdorfer Kreuz ist der Himmel vor mir zweigeteilt. Rechts hell, links schwarz. Ich überlege mir, ob ich in die Regenkluft schlüpfen soll. Denke mir "ach was, wenn der Regen anfängt, fährst Du rechts ran". Dann beginnt eine Baustelle. Verengung auf eine Spur, Stau, undurchdringlich, selbst für ein Motorrad. Links und rechts Leitplanken. Und das Gewitter setzt ein. Nach fünf Minuten ist die Lederkluft durchweicht. Eine Stunde im Regen. Ich schreie vor Wut. Scheiß DDR! Wobei die am wenigsten dafür kann, dass ich rechtzeitig in die Regenkluft geschlüpft bin. Bei Schleiz kann ich endlich von der Bahn, die Regenkluft über die nasse Lederkombi überstülpen. Wenigstens dringt jetzt keine neue Näse mehr ein.

Der Verkehr läuft wieder. Ich gondle weiter. Das Wasser läuft vor und hinterm Visier, vor und hinter der Brille herunter. 80 Sachen, weil ich die Fahrbahnbegrenzung nicht mehr erkenne. Schneller geht es nicht, beim besten Willen. Die LKW-Fahrer überholen, scheren in weitem Abstand wieder vor mir ein. Sie sind Profis, wissen darum, dass sie Sprühfahnen ziehen. PKW-Fahrer wissen das nicht, oder wollen es nicht wissen, überholen wie wild, ziehen dicht vor mir wieder rein. Ein A3 mit Breitreifen spielt Rennfahrer, prescht vorbei und legt zwei Sekunden vor mir eine astreine Pirouette hin. Klatscht fünffach in die Leitplanke. Ich bremse im Trümmerhagel, der mich zum Glück verschont, halte an. Der Typ im Auto geschockt, aber unverletzt. Ich turne wild winkend auf der Autobahn rum, bis endlich einer anhält und ein Warndreieck aufstellt. Polizei. Abschlepper. Unfallaufnahme. Zeugenaussage. Pitschpatschnass. Die Streifenhörnchen lotsen mich auf einen Autohof, ein Polizist gibt mir einen Kaffee aus, nette Kerle. Sie werden rasch zum nächsten Unfall gerufen.

Ich fahre weiter, summe ein Lied, sinniere übers Autofahren und über Zivilisation, bis ich nach Mitternacht daheim bin.

Weltjugendtag ohne Häme

Es war sehr schön, sagte der schmächtige Bub mit der großen Zahnspange in die Kamera, die ihm ein ZDF-Mensch vors kluge Gesicht hielt. Es war sehr schön. Und ich wurde sehr traurig.

Ein junger Mensch. Auf dem Pausenhof steht er allein. In er Schule läuft es gut, die guten Noten fallen ihm zu. Aber mit den Mädchen klappt das nicht so. Erwachsenwerden ist verteufelt schwer. Alkohol, Kippen, Markenklamotten, große Gesten liegen ihm nicht. Weil er glaubt, dass er da nicht mithalten kann mit den anderen. Und das stimmt. Mithalten kann er nicht. Jeder Versuch in diese Richtung führt unweigerlich in die Peinlichkeit, macht ihn noch mehr zu einem Außenseiter.

Was der Ratzinger sagt über Sex vor der Ehe ist ihm egal. Er hat ja sowieso keinen. 1979 wäre er vielleicht Punk geworden. 2005 ist er Christ. Besser Christ als Nazi, sage ich als Nihilist und Punk von 1979.

Obwohl aus seinen vier Worten "Es war sehr schön" grenzenlose Traurigkeit spricht, wie sie nur ein Jugendlicher empfinden kann, sieht er in dem Moment richtig glücklich aus.

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