Donnerstag, 17. November 2005

Fehdehandschuh an Philipp

Beim Haltungsturner fetze ich mich mit einem Kulturbeutel namens Philipp. Was ich nicht will: Das Wohnzimmer des Haltungsturners mit Kraftausdrücken einsauen. Da Philipp anonym und ohne Link kommentiert, kann ich die Auseinandersetzung auch nicht auf seinem Blog austragen. Nun gut, lade ich Dich hierher ein.

Nochmal, für Dich:

Der Cornet Rilkes ist ein sich auf höchstem Sprachniveau abspielendes Haut-den-Heiden-heldisch-eins-auf-die-Waffel-fickt-einmal-in-eurem-Leben-eine-Adelige-und-danach-kackt-ab-dabei-fürs-Vaterland-Aufopferungsbüchlein, das in seiner Wirkungsgeschichte ziemlich verheerend ist, alldieweil es im I. Weltkrieg - sehr erfolgreich - als Durchhalteliteratur eingesetzt wurde.

So, und jetzt warte ich auf Deine wohlfeile Antwort, Du armseliges Siebengescheitle! Literaturkritik und Literaturwissenschaft von unten packst Du wohl nicht, hä?!

Übrigens, da du es anzweifelst: Mein Studium dieser Diskussionswissenschaft habe ich ziemlich erfolgreich abgeschlossen. Aber als ich dann aus der Hochschule raus und zurück ins echte Leben ging, habe ich recht schnell damit aufgehört, den simpelsten Schmarren so weit ausdifferenzieren zu müssen, bis links nicht mehr links und rechts nicht mehr rechts, bis falsch nicht mehr falsch und richtig nicht mehr richtig ist, sondern halt alles schön kuschelig im Vagen bleibt. Manche können sich davon nicht trennen. Sondern fühlen sich in diesem ungefähren und ungefährlichen Gekuschel sauwohl.

Jawohl, meine Herkunft ist proletarisch. Obwohl ich studiert habe und mit Worten mein Geld verdiene, und davon nicht wenig, bin ich kein verfeinerter Bildungsbürger geworden, sondern allenfalls Bildungsproletarier. Darauf und auf meine Herkunft bin ich stolz.

Mein Urgrovater mütterlicherseits nomadisierte in den 1930er Jahren als Schäfer in der Schwäbischen Alb und wurde von den Nazis im Arbeitslager sesshaft gemacht. Mein Großvater väterlicherseits war Holzmacher im Bayerischen Wald und faktisch Analphabet. Als er im II. Weltkrieg auf Fronturlaub einen SA-Mann niederschlug, weil dieser die Geliebte meines Großvaters gefickt hatte, fand er sich in Norwegen beim Minenräumen wieder.

Meine Ahnen sind zeitlich nah dran, aber wesenhaft weit weg von Rilke. Zum Glück.

Trackback URL:
https://stachanow.twoday.net/stories/1162702/modTrackback

Violine - 17. Nov, 17:01

Das ist lustig. Ich hoffe, der Philipp kommt hierher.
Ich versteh Dich, ich kann bei sowas auch nie widerstehen. ;-)

Stachanow - 17. Nov, 17:13

Ich dachte schon, er wäre da. Ist er aber nicht.

Halllooooooo!!
Webcat72 - 18. Nov, 11:32

... nein ich bins auch nicht, ich glaube fast, der kommt nicht mehr. Aber ich denke, DIE Diskussion ist halt mit Zeilenversmaßzerlegen und Jambenakrobatik auch nicht zu stemmen, da hakt er aus. Was ich wirklich interessant dran finde, wäre der Ansatz zu fragen: surft hier jemand rum, der etwas über Rilkes Biographie weiss ?? Hat der/die Antworten?

D.h. War der Mann totalitär nationalistisch unterwegs oder war das Cornet von dem Du redest (sorry ich kenne nur den Panther, der geht bei Depressionen ganz gut, der Rest ist mir eher zu verschwurbelt) nur mißbraucht von den entsprechenden Herrschaften !?
Denn ich denke, man kann keinem Künstler einen Vorwurf machen, wenn jemand etwas Übles draus ableitet oder damit tut. Wenn er das allerdings auch selbst unterstützt hat, dann schon.

(Das geht dick in die Ethik-Diskussion "Was ist das Gute/Schlechte" - die gute/schlechte Absicht, oder das gute/schlechte Ergebnis :-?

Stachanow - 18. Nov, 11:58

Rilke war nicht politisch, der Cornet ist es schon. Lesenswertes Büchlein, das Schöne daran: In 20 Minuten hat man es durch, steht online. Es geht grob darum, dass ein junger Adeliger, mit dem Rilke seine Adelsabkunft nachweisen will, in den Türkenkrieg zieht, durch allerlei phallische Bilder reitet, eine Gräfin knattert, die Schlacht verpennt, heroisch doch noch seinen Krieg findet und niedergemetzelt wird. Der Tod? Kommt in Form von sechzehn runden Säbeln, "die auf ihn zuspringen, Strahl um Strahl, sind ein Fest. Eine lachende Wasserkunst."

Das Büchlein mit dieser Message hatten alle Offiziere des I. Weltkriegs im Tornister.
Waldorff - 18. Nov, 12:02

Ach, Rilke

Nicht mal in der Zeit, als ich schwarze Rollkragenpullover trug, konnte ich dem Herrn Rainer M. Rilke viel abgewinnen. Zu kunstvoll verstört und angestrengt, das Ganze.
Und im übrigen:
Der bekannte Brief an die Gräfin von Thurn und Taxis aus dem Jahre 1913, in dem er seinen Kollegen Werfel mit antisemitischen Klischees anschwärzt, um bei der Gräfin zu punkten. Keine schöne Sache.

Webcat72 - 18. Nov, 14:09

danke! da hat doch mal jemand viel schöner ausgedrückt, was ich sagen wollte mit "verschwurbelt", und kein Wort fand "kunstvoll verstört". Si.
Booldog - 18. Nov, 14:17

Ich dachte, es ging bei der Geschichte um jene ungarische Gräfin, die Karl Kraus geknallt hat?!

Aber man lernt nie aus...
Stachanow - 18. Nov, 14:30

@Webmiezle: Der Waldorff ist einer der klügsten und, was erschwerend hinzukommt, gebildetsten, kultiviertesten und nettesten Menschen auf diese Welt. Wenn Du mal beruflich ne Edelfeder fürs Kultivierte suchst, der Waldorff kanns. Übrigens auch der Booldog, der ist aber der Richtige fürs richtig Abseitige. Ich dagegen bin dann der Mann fürs Grobe.

Genug geworben, das verkommt hier sonst noch zum Business-Blog.

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