Jenische
Deutschland wird nie multikulturell werden. Denn Deutschland hat nie begriffen, dass es multikulturell ist, dass es hierzulande Minderheiten gibt. Minderheiten wurden immer ausgeblendet. Zum Beispiel die Jenischen.
Im Ichenhausen, vielleicht zehn Kilometer entfernt von dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es viele Jenische. Sie wurden meist abschätzig Wackes genannt, wobei Wackes eigentlich für Elsässer steht. Oder Zigeuner, dabei sind die Jenischen hellhäutig. Die Jenischen aus Ichenhausen waren landauf, landab verrufen als üble Schläger und Messerstecher, allesamt kleinkriminell. Nicht nur die Eltern, auch die älteren in der Clique bedeuteten einem, einen weiten Bogen um die Jenischen zu machen. Und das haben wir gemacht. Wer die Jenischen waren, hat uns weiter nicht interessiert.
Einmal, 1984, habe ich bei einer Ferienarbeit einen Jenischen kennengelernt, Wolfgang hieß er. Ich war 19, Schüler, unbedarft. Er war 19, verheiratet, Vater einer Tochter, kriminell, hatte Knasttätowierungen. Wolfgang war nett. Er lud mich nach der Schicht, Taubenscheiße wegputzen im Rohbau des Atomkraftwerks Gundremmingen, Block B, zu seiner Familie ein, in eine Wohnsiedlung, die einem Schrottplatz glich. Seine Schwester nannte mich, ich kann den Wortlaut nur aus meiner Erinnerung wiedergeben, „zschuckersche Bul“, was ich für mich damals mit „zuckersüßem Buhlen“ übersetzte, und hat mir vor der versammelten Großfamilie am Essenstisch den Kopf getätschelt. Vielleicht stimmt es ja mit dem zuckersüßen Buhlen. Auf jeden Fall haben alle in Wolfgangs Familie darüber gejohlt und gewiehert. Es gab Hausmannskost, kein Zigeunerschnitzel. Ich kam fröhlich, lebend und ziemlich besoffen von dem Spontanfest bei Wolfgangs Familie nach Hause. Nach dem Ferienjob ging ich studieren, verlor Wolfgang aus den Augen.
Das Phänomen der Jenischen habe ich nie weiter ergründen wollen. Bis ich gestern auf einen Eintrag in der Wikipedia stieß und auf weitere Seiten im Netz. Die Herkunft der Jenischen bleibt für mich wie für sie selber mysteriös. Aber sie haben eine Jahrhunderte alte Kultur. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie als „Zigeunermischlinge“ oder „Asoziale“ verfolgt und in den KZ zusammen mit den Sinti und Roma ermordet. Trotzdem sind die Jenischen in Deutschland heute eine der letzten Gruppen, deren Verfolgung keinerlei öffentliche Anerkennung fand.
Ich habe nachgefragt bei Leuten aus der Gegend, die ich längst verlassen habe: In Ichenhausen gelten sie immer noch als Wackes und Zigeuner.
Im Ichenhausen, vielleicht zehn Kilometer entfernt von dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es viele Jenische. Sie wurden meist abschätzig Wackes genannt, wobei Wackes eigentlich für Elsässer steht. Oder Zigeuner, dabei sind die Jenischen hellhäutig. Die Jenischen aus Ichenhausen waren landauf, landab verrufen als üble Schläger und Messerstecher, allesamt kleinkriminell. Nicht nur die Eltern, auch die älteren in der Clique bedeuteten einem, einen weiten Bogen um die Jenischen zu machen. Und das haben wir gemacht. Wer die Jenischen waren, hat uns weiter nicht interessiert.
Einmal, 1984, habe ich bei einer Ferienarbeit einen Jenischen kennengelernt, Wolfgang hieß er. Ich war 19, Schüler, unbedarft. Er war 19, verheiratet, Vater einer Tochter, kriminell, hatte Knasttätowierungen. Wolfgang war nett. Er lud mich nach der Schicht, Taubenscheiße wegputzen im Rohbau des Atomkraftwerks Gundremmingen, Block B, zu seiner Familie ein, in eine Wohnsiedlung, die einem Schrottplatz glich. Seine Schwester nannte mich, ich kann den Wortlaut nur aus meiner Erinnerung wiedergeben, „zschuckersche Bul“, was ich für mich damals mit „zuckersüßem Buhlen“ übersetzte, und hat mir vor der versammelten Großfamilie am Essenstisch den Kopf getätschelt. Vielleicht stimmt es ja mit dem zuckersüßen Buhlen. Auf jeden Fall haben alle in Wolfgangs Familie darüber gejohlt und gewiehert. Es gab Hausmannskost, kein Zigeunerschnitzel. Ich kam fröhlich, lebend und ziemlich besoffen von dem Spontanfest bei Wolfgangs Familie nach Hause. Nach dem Ferienjob ging ich studieren, verlor Wolfgang aus den Augen.
Das Phänomen der Jenischen habe ich nie weiter ergründen wollen. Bis ich gestern auf einen Eintrag in der Wikipedia stieß und auf weitere Seiten im Netz. Die Herkunft der Jenischen bleibt für mich wie für sie selber mysteriös. Aber sie haben eine Jahrhunderte alte Kultur. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie als „Zigeunermischlinge“ oder „Asoziale“ verfolgt und in den KZ zusammen mit den Sinti und Roma ermordet. Trotzdem sind die Jenischen in Deutschland heute eine der letzten Gruppen, deren Verfolgung keinerlei öffentliche Anerkennung fand.
Ich habe nachgefragt bei Leuten aus der Gegend, die ich längst verlassen habe: In Ichenhausen gelten sie immer noch als Wackes und Zigeuner.
Stachanow - 29. Jun, 10:48
5 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
pathologe - 29. Jun, 11:02
Wobei die Elsässer eher "Wogges" heißen, da sie den Vogesen (franz. Vosges) zugeschrieben werden. Und aus dem Vosges wird sich das Wogges entwickelt haben.
Stachanow - 29. Jun, 12:11
"Schucker" heißt "schön"
"Bull" heißt "dummes Frauenzimmer"
Jetzt ahne ich, warum die so gelacht haben. Aber ich bin doch kein Mädchen.
"Bull" heißt "dummes Frauenzimmer"
Jetzt ahne ich, warum die so gelacht haben. Aber ich bin doch kein Mädchen.
magnus13 - 18. Okt, 23:17
Bul heißt nicht Frau - die Mosch ist die Frau oder die Bula.
magnus13 - 18. Okt, 23:15
Jenische
gibt´s nicht nur in Ichenhausen, die gibts auch in Sonthofen, Kempten, Tirol, Niederösterreich, Schweiz usw. In Tirol heißen sie Karner (weil sie früher im Karren gereist, geschlafen und gelebt haben) Viele Jenische kamen auch im Karren auf die Welt.
che2001 - 15. Okt, 16:05
In Oberbayern heißen sie Grattler, was dort heute allgemein als abschätziger Ausdruck für Unterschichtler gebraucht wird..
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