Freitag, 23. Juni 2006

Ausgebootet

Gestern ruft ein Kunde an, den ich gemeinsam mit einem befreundeten, selbständigen PR-Berater E. betreue. Die Aufgabenteilung: E. macht das Konzeptionelle und, weil er nah am Kunden sitzt, auch das Zurufgeschäft. Wir als Agentur übernehmen die Redaktion und Herstellung eines nicht zeitkritischen Periodikums, wobei E. als Organisator, Ideengeber und Korrektiv mitwirkt, für ein eher kleines Salär. An den Job bin ich allein über E. gekommen. Ich bot ihm eine Provision an, er wollte keine.

Wie gesagt, der Kunde ruft nun an und fragt: "SagnSe mal, Stachanow, ich frage mich die ganze Zeit, nachdem das Projekt so gut läuft, ob wir den E. darin überhaupt noch brauchen. Das ist doch unnötig, dass wir das über seine Bande spielen, oder?"

Ich eiere rum, rede von E. als Organisator, Ideengeber und Korrektiv und uns als Umsetzer. Der Kunde sagt: "Aber das Konzept steht doch jetzt und der Workflow auch, und Sie sind doch in der Lage, das Projekt umzusetzen. Oder verstehe ich das falsch?" Natürlich, antworte ich, natürlich kann ich das Projekt umsetzen. "Dann passt es ja und wir werden E. anderweitig einsetzen", schließt der Kunde.

Hoffentlich ist das mit dem "anderweitig einsetzen" nicht das, was ich befürchte. Der Euphemismus für "ausgebootet werden". Und ich darf jetzt das Gespräch meinem Freund beichten.

In meiner A-Jugend

In meiner Jugend auf dem Dorf gab es nur Fußballer und Nicht-Fußballer. Natürlich war ich Fußballer. Aber kein guter. Meine Ballbeherrschung ließ zu wünschen übrig. Alles, was ich als nicht-technischer Linksaußen konnte: An der Mittellinie den Ball annehmen, den Ball innen oder außen am Verteidiger vorbeispitzeln, den Abwehrspieler dann mit meinem guten Antritt überlaufen, bis zur Grundlinie rennen und eine Flanke schlagen. War die präzise, hatte ich ein Tor vorbereitet. Denn in der Mitte stand Manni, der Mittelstürmer, und brauchte nur noch den Kopf hinzuhalten. Aber beileibe nicht jede Flanke kam an.

In der C-Jugend wurde ich deshalb dagradiert und in die zweite Mannschaft verwiesen. Mit 14 machte mein Körper einen Schub in die Länge und Breite, sodass ich in der B-Jugend in die erste Mannschaft durfte, wenn auch meist nur Ersatz für die zweite Halbzeit. Als ich mit 16 in die A-Jugend kam, war ich aber wieder einer der kleineren. Und es gab keine zweite A-Jugend, in die ich hätte verwiesen werden können. Und die A-Jugend wollte unbedingt aufsteigen, in die Bezirksliga.

Ich als Linksaußen wurde deshalb lange Zeit links liegen gelassen. Im wahrsten Wortsinn. Denn ich durfte immer meine Halbzeit lang auflaufen, das war halt so. Wer ins Training kam, hatte ein Anrecht darauf. Mitspielen aber durfte ich nicht wirklich. Okay, mir den Ball zu geben war riskant, ich verstolperte den Ball öfter als andere. Trotzdem: Meine Flankenläufe kamen mitunter durch, und weil ich viel übte, wurden meine Flanken immer präziser. Nur Manni, der Mittelstürmer, stand immer seltener auf seiner Anspielposition. Weil er den Ball von mir gar nicht mehr wollte. Ich überrannte den Gegner auf einer halben Fußballplatzlänge, und von meinen Mitspielern lief keiner mehr mit.

In meinem letzten Spiel wurde ich von meinen Mitspielern kein einziges Mal angespielt. Sogar mein Gegenspieler fragte, was los sei. Als es mir einmal gelang, ihm den Ball abzuluchsen und einen Pass auf Manni zu schlagen, ließ der den Ball absichtlich ins Aus laufen, dabei gestikulierend, der Pass wäre zu ungenau gewesen.

Ich habe dann den Verein gewechselt, bin zu einer unterklassigen Mannschaft im Nachbardorf gegangen. Dort sind allen die Bälle versprungen. Aber es hat Spaß gemacht. Und keiner hat die Realität auf dem Platz mit der Realität abseits des Platzes verwechselt.

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