Montag, 28. März 2005

Dorfjugend, Kap. 4

Er hatte eine ganze Plattenseite und noch ein bisschen länger durchgehalten und lag nun zufrieden auf ihrem Bett. Langsam streichelte Carola seinen Arm und redete auf ihn ein. Aber Peter wollte jetzt nicht reden. Er malte sich viel lieber aus, wie er sie demnächst bei seinen Freunden einführen würde. Cool würde er über den Parkplatz staksen, die Spitzen der Cowboystiefel nach außen gestellt, wippend, federnd, leichte O-Beine. Im Schlepptau das Mädchen. Dann würde er die Tür aufreißen und rein, vorn an der Theke beim Franz zuerst zwei Kaffee bestellen und auf Zeit spielen. Schließlich kam man nicht jeden Tag mit einem neuen Mädchen an. Nach einer Weile würden die Jungs schon das übliche Riesen-Hallo anstimmen und die anzüglichen Bemerkungen krakeelen, vor denen sich die Mädchen ekelten. Dabei war das doch ein Zeichen von Wertschätzung, ein Begrüßungsritual sozusagen. Je ekelhafter die Sprüche, desto besser.

Später würden die Jung es sich zehnmal überlegen, etwas Dummes über sein Mädchen zu sagen. Ein einziges blödes Wort und man würde sich, wieder ein Ritual, unweigerlich draußen vor der Tür treffen und das Ganze mit den Fäusten austragen. Nur Feiglinge gingen nicht nach draußen. Drinnen schlägerte man nur in Ausnahmefällen und musste höllisch aufpassen, weil der Franz drinnen mit dem Stuhlbein dazwischenging, sobald die Gläser flogen. Deswegen hieß der Franz bei manchen auch Stuhlbein.

Komisch, dachte Peter, der Franz heißt Stuhlbein, aber den Schlund nennt keiner Schlumpf. Obwohl der sich nicht dagegen wehren könnte. Der Schlund hat keinen Spitznamen, ebenso wenig wie ich. Aber ich habe mich lange gegen die Semmel wehren müssen, mit dem Maul und, wenn das nichts half, mit den Fäusten. Beim Schlund kam keiner auf die Idee, ihn Schlumpf zu nennen. Nicht einmal nach dem gescheiterten Selbstmord neulich.

Weshalb der Bluna Bluna hieß, war unklar. Aber Bluna hatte auf dem Tank seiner 750er Kawa-Turbo einen Bluna-Aufkleber. Eine Weile hatte Peter gedacht, der Bluna würde deswegen so genannt, aber erst hieß der Bluna Bluna, dann kam der Aufkleber. Wie Bluna richtig hieß, wussten eigentlich nur die, die mit ihm aufgewachsen waren. Sogar sein eigner Vater nannte seinen Sohn Bluna. Das war schwer in Ordnung.

Schwer in Ordnung war für Peter auch, dass ihn alle Semmler nannten und kaum einer Peter. Peter war schlimm. Er vermutete schwer, dass seine Mutter ihn nach dem Peter Alexander so getauft hatte. Den sah sie gern im Fernsehen. Wenn er irgendwas dahersang, so einen Scheißdreck wie "Das waren nur die Beine von Dolores" stand sie am Bügelbrett, sang mit und wiegte kokett mit den breiten Hüften. Dazu schaute sie lächelnd in die Richtung von Peters Vater, der auf dem Sofa hockte und still sein Feierabendbier trank. War der Alte normal drauf, antwortete er mit einem Knurren. Aber mit dem richtigen Quantum Bier sang er zurück und zwinkerte läppisch mit den Augen. Heilige Scheiße, war das peinlich.

Peter schüttelte sich. Carola hörte auf, seinen Arm zu streicheln und fragte: Peter, was denkst du. Ach nichts, sagte er und wünschte sich, sie würde ihn einfach weiterstreicheln. Aber Carola schaute ihn immer noch fragend an. Sag was, Peter, sagte sie. Und weil ihm nichts anderes einfiel, fing er an, sie zu streicheln. Nach einer Weile fragte er sie, ob sie später noch mitginge, ins Kupferdächle.

Zu den Proleten, fragte sie. Ja, klar, sagte er. Sie sagte: Mensch Peter, du gehst doch aufs Gymi. Und er sagte: Was hat das damit zu tun. Weil sie ihm keine Antwort gab, fragte er nach einer Weile: Gehst du noch mit? Und sie sagte: Wenn’s denn sein muss und verdrehte dazu die Augen, wie es Mädchen tun, wenn sie keine Lust zu etwas haben. Da sagte er nichts mehr.

Und er hoffte, sie würde ihn bald Semmler nennen.

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