Arbeit
Gerne prahle ich mit dem persönlichen Freiheitsgrad, den mir meine Arbeit lässt, und dem damit verbundenen Spaß an der Arbeit. Den hat mir ein Kunde heute gründlich vergällt. Er ließ mich einen Job tagelang zwischen vier Leuten hin- und herspielen und monierte dann sieben Verwaltungsstunden auf der Rechnung.
Ich bin eingeknickt und habe - angesichts des 70.000 Euro schweren Jahresetats - die Rechnung gekürzt.
Immerhin bin ich noch eine teure Hure.
Stachanow - 7. Mär, 14:06
Ich beschäftige sechs Leute, allesamt Akademiker. Ich versuche, ihnen ein auskömmliches Gehalt zu bezahlen. Ich bin der letzte heute im Büro und komme gerade vom Bürorundgang zurück. Mein Befund:
An den Arbeitsplätzen vier laufende elektrische Verbraucher (zwei Bildschirme, ein Drucker, der Kopierer) und die Kaffeemaschine ausgeschaltet.
Einen Aschenbecher geleert.
Auf dem Herrenklo Kackstreifen weggebürstet.
Die Pflanzen ("Chef, wir wollen es ein bisschen grün haben") vor dem Verdorren gerettet.
Im Kühlschrank einen angebrochenen Joghurt gefunden und entsorgt.
Mein Herz schlägt links und deshalb weigere ich mich standhaft, in das Arbeitgeberhorn zu stoßen. Von wegen Unselbständigkeit von Angestellten und Umgang mit dem Firmeneigentum. Aber heute ist mir mal wieder klar geworden, warum aus dem Sozialismus nix geworden ist.
Stachanow - 4. Mär, 21:21
Es ist schwer, für einen Verband zu arbeiten. Schon die Nomenklatur ist für meinen schwachen Verstand nicht zu durchschauen. Da gibt es Sitzungen und Tagungen. Zwischen denen ich faktisch keinen Unterschied feststellen kann. Die naheliegende Erklärung, eine Tagung müsse länger dauern als eine Sitzung, kann ich leider nicht bestätigen. Beides geht bis zur völligen geistigen Erschöpfung. Neben Sitzungen und Tagungen koexistieren Arbeitssitzungen und Arbeitstagungen. Allein - auf denen wird ebenso wenig gearbeitet und ebenso viel geplappert wie auf normalen Tagungen - die dann im Unterschied zu Arbeitstagungen Freizeit-Tagungen sind?
Egal ob Arbeit oder Freizeit: Jedesmal steht nachmittags um fünf einer auf und rezitiert die Beschlusslagen von 1998. Dann geht man teuer fressen. Die neue Beschlusslage steht dann im Protokoll. Das führt die einzige Frau in der Runde. Die geht nicht mit Essen, die ist subaltern und die einzige, die arbeitet.
Falls dies ein funktionenschwerer Funktionär liest: Ich bitte inständig um Aufklärung über die Begrifflichkeiten Sitzung, Tagung, Arbeitssitzung und Arbeitstagung. Meinen Kunden getraue ich mich nicht zu fragen.
Stachanow - 11. Feb, 20:17
Auf der "Opti München" als einer "der Top-3-Augenoptikmessen in der Welt," wie OPTI-Veranstalter Dr. Arno Jäger (laut Presseinformation) "berichtet", gab es vom 28. bis 30. Jänner einen Haufen neue Brillen zu sehen. Und ich habe etwas gelernt. Die Hersteller werfen jährlich rund 12.000 Brillen auf den Markt und überbieten sich darin, Lizenzen der Bekleidungsmarken auf die Brillenmode zu übertragen. Nur: Den Käufer schert das nicht. Gerade mal fünf Prozent der Brillenträger geben laut repräsentativer Allensbach-Studie an, ihre Kaufentscheidung von einem Label abhängig zu machen.
95 Prozent der Leute ticken richtig. Wenigstens bei der Brille.
Stachanow - 31. Jan, 15:03
Dieses Posting ist subjektiver und biografischer geworden, als ich es ursprünglich wollte. Es geht aber nicht anders.
Ich habe von 1985 bis 1990 studiert. Als erster Sproß einer Großfamilie, die noch vor zwei Generationen fast gänzlich aus halbnomadisierenden Schäfern, besitzlosen Tagelöhnern und Bauernmägden bestand. Landproletariat eben. Meine Mutter wurde mit 14 in die Fabrik geschickt. Mein Vater durfte eine Lehre als Speditionskaufmann machen, das war ein Aufstieg.
Nun gab es einen Willy Brandt. Der hat meiner Mutter beigebracht, dass ihr Bub aufs Gymnasium kann, wenn er den Kopf dazu hat. So wie die Bürgerskinder auch.
Als ich 15 war, durfte ich mir zwar jeden Tag daheim anhören, dass anderer Leute Kinder ein Geld nach Hause bringen und ich meine Zeit nur mit Rumtheoretisieren und Vierer schreiben vertrödle. Aber so ist das halt.
Nach dem Abi ging ich studieren, anschließend volontieren, redigieren, pressesprechern. Als Quotenhure verselbständigt, habe ich die vergangenen zehn Jahre etwas gemacht, was Siemens die vergangenen zehn Jahre tunlichst vermieden hat: Ich habe neue Arbeitsplätze geschaffen. Meinen mitgerechnet sind es sechs. Ich zahle Steuern. Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Grunderwerbsteuer, Grundsteuer ...
Und ich habe Leuten, die frisch von der Uni kamen, das Arbeiten beigebracht. Sie brauchen ungefähr ein Jahr, bis sie sich in der kapitalistischen Arbeitswelt einigermaßen bewegen können. Der Kapitalismus versteht es, sich ausgezeichnet zu tarnen. Selbst vor studierten BWLern und Juristen.
So. Nun urteilt das Bundesverfassungsgericht gestern, dass es Studiengebühren geben darf. Edelgard Bulmahn zieht eine beleidigte Fresse und die Schwarzen zwitschern vor Freude wie die Lerchen auf dem Felde.
Die Pisa-Studie machte öffentlich, dass in Deutschland wie in keinem anderen Land das Bildungsniveau der Schüler vom Geld der Eltern abhängt. Für den, der Geld hat, ist das eine gute Nachricht. Seine Kinder haben es mal besser. Sie kriegen keinen Konkurrenzdruck von diesen dreckigen, dem Land- oder einem sonstigen Proletariat entsprungenen Aufsteigertypen. Für den, der Geld hat, sind 500 Euro pro Semester ein Klacks.
Die Studenten, die das Geld nicht von den Eltern kriegen, werden werden Jobber. Ihre Entscheidung: Großer Mathe- oder kleiner Geldschein. Die Globalisierungsgegnerin Naomi Klein bezeichnet solche Leute in ihrem Buch "No Logo" als "Perma-Temps". Ein Oxymoron. Was haben Perma-Temps zu verlieren? Nichts! Meine Generation hat Wackersdorf verhindert. Es geht! Ich erhoffe mir massive Proteste.
Stachanow - 27. Jan, 11:30
Neulich habe ich mit einem Textiler vom alten Schlage gesprochen. Der hat mir versichert, dass es vor der Komplettverlagerung der Textilindustrie nach Südostasien durchaus möglich gewesen war, in Deutschland ein Herrenhemd für maximal 15 Euro zu fertigen. Wohlgemerkt: von der Baumwollfaser und den Webstuhl über die Stoffdruckerei, Ausrüstung und Konfektion bis zur Verpackung. Also: Der Einkaufspreis des Handels für ein deutsches Hemd könnte bei 15 Euro liegen.
Der Verkaufspreis eines wirklich guten Hemdes liegt bei 79 Euro. Macht eine Rohmarge des Handels von 64 Euro. Was einem Aufschlag von 426 Prozent gleichkommt.
Ja Himmelherrgottsakrament! Reichen 426 Prozent Rohmarge dem Handel denn nicht aus? Muss man das Hemd ums Verrecken für 7,50 Euro (oder vier, oder zwei) aus Indonesien einführen, um es dann auch für 79 Euro zu verkaufen? Und warum war dann Karstadt-Quelle kurz vorm Abkacken?
Ihr seht schon: Fragen über Fragen.
Stachanow - 26. Jan, 21:08
Ich kenne den
Mann.
Ich habe vor Urzeiten mal für ihn gearbeitet.
Gelernter Maurer.
Später Konzernherr.
Selfmademan.
Hochfahrend. Cholerisch. Eine Zumutung für seine Umgebung.
Lässt sich mit "Herr Professor" anreden. Honorarprofessor.
Seine Uhr heißt Rolex, weil er keine andere teure kennt.
Sein Auto ein schlimmer Rolls Royce.
Seine Zigarre eine Davidoff No. 1
Sein Ferienhaus ein abgeschmacktes Chalet in der Schweiz.
Seine "Philosophie" eine Agglomeration von Plattitüden.
Alles Gründe, den Mann nicht zu mögen.
Tausend Gründe. Hunderttausend.
Jetzt hockt er vor seinem Scherbenhaufen da und ich weiß nicht, ob ich ihn bemitleiden soll.
Stachanow - 20. Jan, 23:12
Stachanow - 23. Dez, 17:22
Gestern vor acht Jahren trat ich einen neuen Job an. Zuvor war ich eine Weile lang arbeitslos. Genauer: Faktisch acht, offiziell vier Wochen.
Damals hatte ich 90.000 Mark auf dem Zins und bin trotzdem ums Aldi-Regal geschlichen, grübelnd, ob ich mir noch die besseren Nudeln leisten kann und frisches Gemüse. Nach zwei Tagen war der Spiegel abbestellt und in meiner Tasche hütete ich einen nagelneuen Leihbibliotheksausweis. Und derlei Dinge mehr. Dabei habe ich mich nie über Arbeit definieren wollen. Heute sind das Anekdoten - und ich definiere mich nicht mehr (so) über Arbeit.
Hoffentlich.
Stachanow - 2. Dez, 19:59
Ein Jahr geht rum wie nichts. Bald schreibe ich wieder an der steueroptimierten Fassung meines Fahrtenbuches, ein Bewegungsdiagramm, das zu 80 Prozent aus Zeilen besteht, die mit "Oxxxxxxxxx-Exxxxxxx-Oxxxxxxxxx" beschrieben sind. Dazu Ausflüge zu diversen Gewerbegebieten in Orten wie München, Paderborn, Bonn, Kleve, Augsburg, Bad Hersfeld.
Ein Elend, wenn man ein Jahr auf das reduziert sieht.
Stachanow - 26. Nov, 15:49