Work-Life-Balance

Dienstag, 1. November 2005

Wilhelm Meister

Ich nenn ein liebes Büchlein mein eigen. Das liegt des Nachts ganz nah an meinem Bette. Wandre ich fern der Heimat auf weiten Kaufmannsreisen, halt ich das Büchlein stets fest an meinem Busen. Ein kunstfert'ger Mann hat es eingeschlagen in noch kunstfert'geres Augspurger Papier, marmorn gefärbt von Ochsengallentinten. Der Rücken ist von feinstem Saffian.

Es ist des Goethens Wilhelm Meister.

Les ichs mit Herzen und Verstande, wird mir gewahr, in den geschraubten Sentenzen steht Scheißdreck drinnen. Allein: Geh ich nach des Tages Mühsalsgeschäften mit fiebrigen Augen und fiebrigem Gemüt zu Bette, so lese ich vielleicht ein halbes Blatt und falle darob in tiefen und traumlosen Schlaf.

Sonntag, 30. Oktober 2005

Kuhmaul Schnaps

Früher, als Kinder, schmissen uns unsere Mütter bei jedem Wetter raus. Wenn einer im Dorf bei Sonnenschein in der Stube hockte, war er entweder krank oder frisch aus der Stadt zugezogen.

Das prägte. Bis heute empfinde ich es als ungehörig, mich während meiner Freizeit drinnen aufzuhalten, wenn die Sonne scheint. Um zu lesen, beispielsweise. Oder zu bloggen. Oder gar vor der Glotze abzuhängen. Aber heute mache ich das. Ich werde nicht rausgehen. Zusätzlich werde ich mir ein Kuhmaul voll Schnaps einflößen - bevor die Sonne untergeht. Jawoll, meine Herrn!

Samstag, 29. Oktober 2005

Punktefrei

Seit einigen Tagen bin ich ein neuer Mensch. Erstmals seit mehreren Jahren kein einziges Pünktchen mehr in Flensburg. Null, nix, niente.

Obwohl das Mopped 275 Sachen Spitze macht laut Tacho und vielleicht echte 265. Und von Null auf 100 in glatt drei Sekunden geht.

Hey, Jungs von der Gendarmerie, macht Ihr vielleicht was verkehrt?

Sonntag, 11. September 2005

Wenn einer eine Reise tut

Wir sind wieder da. Der Urlaub war prima. Italien ist ja auch schön. Nur: Italiener sind stressig.

Was ätzt
Sportives Überholen italienischer Autofahrer mit Auffahren auf den Vordermann bis auf Millimeterdistanz, mit dem Zweck und Effekt, nach dem waghalsigen Überholen ein Auto weiter vorne im Kolonnenverkehr festzustecken.

Was nervt
Wegweiser nach Trento, denen zu folgen sinnlos ist, weil nach einem Kilometer Geradeausfahrt ein der Fahrtrichtung entgegengesetzter Wegweiser nach Trento kommt.

Was befremdet
Junge Männer mit gezupften Augenbrauen. Offenbar heterosexuell.

Was belustigt
Paris-Hilton-Look-Alikes.

Was zu denken gibt
Aufgrund des Schönheits- und Coolness-Zwangs hat die Altersgruppe zwischen zwölf und 70 das Lachen verlernt. Erst im hohen Alter, wenn sich die „bella figura“ beim besten Willen nicht mehr aufrecht erhalten lässt, lernt der Italiener wieder Gelassenheit. Und herzhaftes Lachen.

Wofür ich Italiener bemitleide
Ihre sensationell nervigen Schratzen. Aber die Suppe haben sie sich, durch Ein-Kind-Familie und Dauerverhätschelung, selbst eingebrockt.

Dienstag, 23. August 2005

Weltjugendtag ohne Häme

Es war sehr schön, sagte der schmächtige Bub mit der großen Zahnspange in die Kamera, die ihm ein ZDF-Mensch vors kluge Gesicht hielt. Es war sehr schön. Und ich wurde sehr traurig.

Ein junger Mensch. Auf dem Pausenhof steht er allein. In er Schule läuft es gut, die guten Noten fallen ihm zu. Aber mit den Mädchen klappt das nicht so. Erwachsenwerden ist verteufelt schwer. Alkohol, Kippen, Markenklamotten, große Gesten liegen ihm nicht. Weil er glaubt, dass er da nicht mithalten kann mit den anderen. Und das stimmt. Mithalten kann er nicht. Jeder Versuch in diese Richtung führt unweigerlich in die Peinlichkeit, macht ihn noch mehr zu einem Außenseiter.

Was der Ratzinger sagt über Sex vor der Ehe ist ihm egal. Er hat ja sowieso keinen. 1979 wäre er vielleicht Punk geworden. 2005 ist er Christ. Besser Christ als Nazi, sage ich als Nihilist und Punk von 1979.

Obwohl aus seinen vier Worten "Es war sehr schön" grenzenlose Traurigkeit spricht, wie sie nur ein Jugendlicher empfinden kann, sieht er in dem Moment richtig glücklich aus.

Mittwoch, 17. August 2005

Strohwitwer

Eine Tasse, ein Teller, ein Messer reichen von Montag bis Donnerstag, und wenn ich nicht aufpasse, eine Unterhose auch. Der Katzenfutterrest stinkt erbärmlich im Mülleimer, ich habe ihn rausgebracht und geleert, trotzdem bleibt der Gestank hängen, unverändert stark. Der Basilikumstrauß im Küchengarten ist pflichtgegossen, welkt trotzdem vor sich hin. Zum Abendessen wahlweise Cornflakes oder Spiegeleier mit welkem Basilikum, dazu ein Bier aus der Flasche und Kinderschokolade aus dem Vorrat der Kinder. Obwohl ich nicht wohne, sondern daheim nur schlafe, vermüllt das Haus. Bevor meine Frau mit den Kindern wieder kommt, muss ich groß reinemachen. Und Kinderschokolade kaufen.

Dienstag, 9. August 2005

Perseiden

Und nach meinem Besuch des Soziosphärenreservates (vgl. Beitrag unten) lag ich in meinem Garten und beobachtete die Sternschnuppen des Perseidenschwarms.

Das Leben ist herrlich.

Schmalzbrot

Es gibt sie noch in jeder größeren Stadt, diese Viertel, in denen gleichgeschlechtlich liebende Frauen in Latzhosen in der Kneipe sitzen und Rommé spielen, das Halstuch passend zur Einstellung. In so einem Reservat war ich gestern mit einem Freund. Und habe Expresso getrunken und dazu Schmalzbrote gegessen. Das war wunderschön.

Mittwoch, 27. Juli 2005

"Frei sein explodiert zuerst im Kopf"

Ich möchte zu gerne wissen, was der Texter dieser Zeilen eingeworfen hat.

Montag, 20. Juni 2005

Brecht war kein Franke

Die Hitze flimmert. Das Grün der Gerstenfelder weicht einem unschönen Gelbgrün, das sich aber in ein paar Wochen zu einem satten Goldton verwandeln wird. In den hohen Pappeln spielt der Ostwind. Die Karpfenweiher liegen still in der Mittagshitze. Das Wasser ist dreckig braun und unbewegt. Nur ab und an steigen trübe Blasen vom schlammigen Grund auf, nur ab und an springen die Karpfen atemhaschend in die Luft. Aber sogar diese Bewegungen kurz vor dem Erstickungstod wirken träge. Franken im Sommer.

Das einzige, was einem Südbayern wie mir in der fränkischen Diaspora fehlt, ist Wasser. Flüsse wie der glasgrüne, eisige Lech, dazu die unergründlichen Baggerseen im Lechfeld oder am Unterlauf der Mindel. Wasser, die reißen, Wasser, das steht. Klares Wasser zum Baden, zum Sich-treiben-lassen wie dereinst Bertolt Brecht im Gedicht „Vom Schwimmen in Flüssen und Seen“.

Im bleichen Sommer, wenn die Winde oben
Nur in dem Laub der großen Bäume sausen
Muß man in Flüssen liegen oder Teichen
Wie die Gewächse, worin Hechte hausen.

Dein Leib wird leicht im Wasser. Wenn der Arm
Leicht aus dem Wasser in den Himmel fällt
Wiegt ihn der kleine Wind vergessen
Weil er ihn wohl für braunes Astwerk hält.

Der Himmel bietet mittags große Stille.
Man macht die Augen zu, wenn Schwalben kommen.
Der Schlamm ist warm. Wenn kühle Blasen quellen
Weiß man: ein Fisch ist jetzt durch uns geschwommen.
Mein Leib, die Schenkel und der stille Arm
Wir liegen still im Wasser, ganz geeint
Nur wenn die kühlen Fische durch uns schwimmen
Fühl ich, daß Sonne überm Tümpel scheint.

Wenn man am Abend von dem langen Liegen
Sehr faul wird, so, daß alle Glieder beißen
Muß man das alles, ohne Rücksicht, klatschend
In blaue Flüsse schmeißen, die sehr reißen.
Am besten ist’s, man hält bis zum Abend aus.
Weil dann der bleiche Haifischhimmel kommt
Bös und gefräßig über Fluß und Sträuchern
Und alle Dinge sind, wie’s ihnen frommt.

Natürlich muß man auf dem Rücken liegen
So wie gewöhnlich. Und sich treiben lassen.
Man muß nicht schwimmen, nein, nur so tun, als
Gehöre man einfach zu den Schottermassen.
Man soll den Himmel anschaun und so tun
Als ob einen ein Weib trägt, und es stimmt.
Ganz ohne großen Umtrieb, wie der liebe Gott tut
Wenn er am Abend noch in seinen Flüssen schwimmt.

Dafür ist in Franken der Boden zu sandig, der Grundwasserspiegel schwankt zu sehr.

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